Der Nominierungskonflikt in Eimsbüttel sollte ebenfalls wie die Petersen-Kontroverse von der Hamburger SPD aufgearbeitet werden, weil sie dadurch den Spiegel vorgehalten bekommt und so zu einer realistischen Selbsteinschätzung gelangen kann.
Ich befürchte allerdings, dass sich heute niemand finden wird, der so etwas zu tun bereit ist und auch noch die entsprechende Kompetenz mitbringt. Als ich meine Dissertation zum Thema „Kandidatenaufstellung und innerparteiliche Demokratie in der Hamburger SPD“ schrieb, hatten Parteien noch ein anderes Standing in der Gesellschaft. Parteienforschung war „in“. Die großen Skandale kamen erst noch. Parteien galten als wirksames Instrument gesellschaftlicher Veränderung, ihre Demokratisierung galt als ein Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung.
Es kommt ein weiteres hinzu: Keiner der Akteure käme ohne erhebliche Kritik weg:
Nils Annen wegen seiner versuchten Schlafwagenkandidatur.
Der Kreisvorstand Eimsbüttel, der durch seinen späten Termin für die Bekanntgabe von Kandidaturen, selbst deutlich machte, dass er eine breite demokratische Auseinandersetzung unter Einbeziehung der Mitglieder gar nicht im Auge hatte, und die theoretischen Chancen für das Unterlaufen dieses Auswahlverfahrens nicht gesehen, noch schlimmer jedoch, auch in der Praxis nichts gemerkt hat.
Ilkhanipours Mannschaft wollte eine offene Auseinandersetzung und eine Mobilisierung der Mitglieder durch die beiden konkurrierenden Gruppen vor den Mitgliederversammlungen vermeiden. Er erklärte seine Kandidatur erst nach Abschluss der Delegiertenwahlen in den Ortsvereinen, mobilisierte aber seine Anhänger für die Mitgliederversammlungen der Ortsvereine und sorgte dafür, dass seine Unterstützer so weit möglich zu Delegierten gewählt wurden. Niemand außerhalb der Ilkhanipour-Anhänger erfuhr offensichtlich etwas von dieser verdeckten Mobilisierung. Die nicht eingeschworenen, gegnerischen bzw. potentiell gegnerischen Mitglieder erfuhren von Ilkhanipours Bewerbung also erst nach den Wahlen, stimmten also in Unkenntnis der Kandidatenalternative ab. Sie wurden also über die wirkliche Lage im unklaren gelassen und gingen deshalb möglicherweise gar nicht zur Versammlung. Ilkhanipour konnte also seine Anhänger unter den Delegierten auszählen und nach Einschätzung seiner Chancen noch rechtzeitig vor der vom Kreisvorstand gesetzten Frist seine Kandidatur erklären. Trotz der Fristsetzung des Kreisvorstands hätte übrigens sogar noch auf der Wahlkreiskonferenz eine Kandidatur erklärt werden können.
Klar ist nach dem Abstimmungsergebnis in der Wahlkreiskonferenz, dass Nils Annen nicht genügend Mitglieder mobilisiert und zu wenig eigene Delegierte durchgesetzt hat.
Innerparteiliche Demokratie verlangt eindeutig ein transparentes Verfahren, in dem die Mitglieder schon vor den Delegiertenwahlen über die Kandidatenlage informiert sein müssen. Auf den Versammlungen haben sie Anspruch darauf, die konkurrierenden Kandidaten zu befragen und eine Personaldebatte zu führen, um danach die Wahlkreisdelegierten ebenfalls nach einer Befragung zu wählen. Dieses transparente Verfahren hat Danial Ilkhanipour verhindert.
Kein Kampf mit offenem Visier, dagegen eine Geheimhaltungsstrategie , wie sie bisher noch selten gelungen sein dürfte. Satzung und Wahlordnung wurden formal allerdings nicht verletzt, so die Hamburger Schiedskommission.
Noch schlimmer die Reaktion der Hamburger Linken: Sie betrieb eine öffentliche Kampagne gegen einen nach Wahlordnung korrekt nominierten Kandidiaten der SPD. Man erinnere sich an die Unterschriften der 170 Hamburger Linken geführt von Ortwin Runde u.a. Dieser Verstoß gegen die Parteiordnung ist in seiner Schwere dem Fehlverhalten Wolfgang Clements gleichgewichtig, für das viele Linke bekanntlich zu Recht den Parteiausschluss verlangt haben.
Ilkhanipours Kritiker warfen ihm öffentlich "Hinterlist" und das Erschleichen einer Kandidatur vor. Wer von diesen Kritikern aber würde, wenn es für ihn wirklich um etwas geht, wie bei einer Bundestagskandidatur, Grundsätzen innerparteilicher Demokratie den Vorrang vor seinen eigenen persönlichen Interessen einräumen?
Die Rolle des Landesvorstands wäre ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Dazu die öffentlichen Statements zum Nominierungsverfahren von Andrea Nahles, Franz Müntefering, Hans-Ulrich Klose, Peter Struck , Henning Voscherau u.a. .
Der Kreis Eimsbüttel und die Hamburger SPD haben vor genau vierzig Jahren eine ähnlich konfliktreiche Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 1969 erlebt. Damals traten Peter Blachstein und Wilhelm Nölling gegeneinander an. Kein anderer Kreis in der Hamburger SPD hat bisher vergleichbare Konflikte geliefert. Wenn Eimsbüttel sich auch weiterhin an den 40-Jahres-Rhythmus hält, mag das noch hingehen und für die Hamburger SPD verkraftbar sein.
Man könnte auch noch fragen: War eigentlich die Lage der SPD nach den Umfrageergebnissen zum Zeitpunkt der Kandidatur schon als kritisch zu erkennen oder glaubten alle in schöner Verkennung der Lage an das Motto ihres Vorsitzenden Franz Müntefering „Wir können Wahlkampf“?
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